Buchtipp: “Provenance, an alternate history of art”

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Die Provenienz, die Herkunftsgeschichte eines Kunstwerkes, ist weit mehr als nur eine Auflistung dessen Vorbesitzer beim Verkauf über Auktionen oder Kunsthändler, meint sinngemäss die Herausgeberin Gail Feigenbaum in ihrem Vorwort. Die Vorträge der 96th College Art Association Conference in Dallas zum Thema „Provenance, the Transformative Power“ vom 21. Februar 2008 bilden die Grundlage dieses Buches. Die Themen der verschiedenen Beiträge reichen von der Antike bis zur Neuzeit, quer durch verschiedene Gattungen. Ich möchte hier nur einige Aspekte herausgreifen. Mehr Informationen können Sie dem hier publizierten Inhaltsverzeichnis entnehmen.

Physisch greifbare Provenienz

Wie stellt man diese Provenienz nun fest? Am Besten zuerst, wenn dies möglich ist, am Werk selbst: Im ersten Kapitel “Manifest Provenance” (ab S.6), weist Gail Feigenbaum darauf hin, dass es in vielen Kulturen üblich war, ein Zeichen des Besitzes auf das erworbene oder geschenkte Werk anzubringen. Die Chancen erhöhten sich, dass man ein geliehenes Objekt zurückbekam, wenn man es mit seinem Zeichen, zum Beispiel seinem Wappen, versah. Gerade bei grossen Banketten in der Renaissance, bei denen zusätzliches kostbares Geschirr benötigt wurde, hatte der Leihende das Zeichen des Eigentümers immer vor Augen.

Museen benutzten ihre Inventarnummern, die sie als Diebstahlsicherung häufig an eine wenig diskrete Stelle, auf die Vorderseite des Werkes, setzten. Der Sammler/Connaisseur von Zeichnungen verewigte sich gerne auf der Vorder- oder Rückseite des Blattes, versah dieses mit den Resultaten seiner Recherchen und notierte gelegentlich die Provenienz der Arbeiten. Künstler und Herkunft waren somit immer mit dem Blatt verbunden.

Nicht immer wird die Provenienz so lückenlos überliefert, oder es gibt gar keine. Frits Lugt, der bekannte Verfasser des Verzeichnisses der Sammlermarken auf Zeichnungen 1), spricht dann von “enfants trouvés” (gefundenen Kindern), die ihrer noblen Herkunft beraubt wurden. Seiner Meinung nach waren künstlerische Qualität und Herkunft einer Arbeit untrennbar miteinander verbunden. Nicht alle waren derselben Meinung: Der Gelehrte Antoine Joseph Dezailler d’Argenville war der Ansicht, dass man sich zuerst bei Frage der Echtheit auf das Werk konzentrieren sollte, die Provenienz sei nur Beiwerk.

Provenienz und Rezeption in der Zeit

Dominique Poulot (ab S.61) berichtet von dem ambivalenten Verhältnis, das die Machthaber der französischen Revolution mit der Kunst ihrer Vorgänger hatten. Einerseits liessen sie die künstlerischen Zeugnisse der französischen Monarchie zerstören, wie zum Beispiel ein Grossteil des Gemäldekabinetts von Ludwig XVI, anderseits legten sie Wert auf deren Bewahrung: Die erhaltenen Kunstwerke wurden in den neu erbauten Museen ausgestellt. Die Wertschätzung gebührte allein dem Kunstwerk: “The new era should benefit from the experience and natural talents of humanity” 2). Dieses stand für sich und wurde völlig von seiner Geschichte und seinem Umfeld getrennt, die man als sinnlos oder gar schädlich empfand.

Neben der Zerstörung von Kulturgut legte man gleichzeitig Wert auf dessen Instandsetzung. Denn im 18. Jahrhundert wurden viele Objekte mehr oder weniger als Möbelstücke verwendet und gelegentlich für einen bestimmten Verwendungszweck passend zugeschnitten. In den frühen Jahren des Louvres, bemühte man sich die ursprüngliche Form, im Sinne der “autonomy of the picture and liberty of the artist”wieder herzustellen.

Die ersten Auktionskataloge

Sophie Raux skizziert mit ihrem Beitrag “From Mariette to Joullain” die Entwicklung der ersten Sammlungs- und Auktionskataloge im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Mit der erhöhten Sammeltätigkeit begann man die Kunstwerke zu katalogisieren. Einer der Vorreiter war der Kunsthändler Pierre-Jean Mariette, der Kunstberater für Pierre Crozat war, der einer der grössten Privatsammlungen Frankreichs besass, die später in die Sammlung von Ludwig den XVI. überging. Neben Künstler und Technik ging es beim Erfassen der Arbeiten in erster Linie um deren Originalität, wobei hier nicht die Echtheit gemeint ist. Nur in Verbindung mit der Biographie des Künstlers und der Provenienz wird die Einzigartigkeit der Arbeit bestimmt. Als Händler war Mariette einer der Ersten bei dem die Provenienz eine wichtige Rolle zu spielen begann. Die anderen innovativen Händler der Zeit begriffen, dass bedeutende Provenienzen massgebend zu einem guten Verkauf beitrugen und taten es ihm nach.

Allerdings wurden auch viele Arbeiten einfach verkauft und der Verkäufer war nach einiger Zeit nicht mehr nachvollziehbar. Dem wollte der Händler Francois-Charles Joullain entgegen wirken, in dem er 1783 das erste “Répertoire de tableaux, dessins et estampes, Ouvrages utiles aux amateurs (Das erste Verzeichnis von Gemälden, Zeichnungen und Drucken, Bände, die den Amateuren (Sammlern) nützlich sind), dass er drei Jahre später in den “Réflexions de la peinture” (Überlegungen zur Malerei) noch einmal aktualisierte. Raux schreibt zu seinem Vorwort: “Joullain justified his books relevance by emphasizing this importance of recent sales, which had sped up the circulation of the artworks on the market and had given rise to new questions concerning the volatility of provenances an the variability of prices…” 3) Auch wenn auf den insgesamt 113 Seiten nur 368 Werke veröffentlicht wurden: Der erste Kunstpreisindex war geboren. Man kann gut nachvollziehen, dass dieser auf Grund der dadurch entstandenen Transparenz nicht nur Freunde fand…

Auch die Frage der Echtheit gewann zunehmend an Bedeutung und die Käufer bemühten sich mit der grösstmöglichen Sicherheit zu kaufen. Stilkritik war ebenfalls bei der Beurteilung einer Arbeit ein Kriterum. Sehr interessant für mich war die Tatsache, dass Signaturen, die für uns heute ein so wichtiges Element der künstlerischen Arbeit darstellen, zu dieser Zeit bei der Katalogisierung vollkommen irrelevant waren. Weshalb das so war, wurde noch nicht herausgefunden. Bei Reproduktionsstichen von Kunstwerken kamen die Signaturen, als Bestandteil der Arbeit sehr wohl vor.

Von Bedeutung war hingegen die Angabe der Provenienz: Verkäufe aus adeligen Sammlungen sowie  Sammler mit einer in vielen Jahren erworbene “Kennerschaft” genossen grosses Ansehen. Diese Kunstwerke wurden entsprechend hoch bewertet.

Restitution und Drittes Reich

Natürlich sind die Fragen der Provenienz im Kontext der Restitution ein Thema des Buches. Tilmann von Stockhausen beschäftigt sich in seinem Kapitel “The failure of provenance research in Germany” mit den Schwierigkeiten der Restitution nach dem 2. Weltkrieg, die ja erst mit der Washingtoner Deklation 1998 langsam in Schwung kam. Ursachen waren unter anderem Desinteresse an der Rückggabe, aber auch eine nicht einheitliche Dokumentations- und Archivierungsmethode in den deutschen Museen. Viele Dokumente sind verloren gegangen. Erst mit der Digitalisierung wurde die Dokumentation und die Recherchearbeit erleichtert.

Uwe Fleckner behandelt in seinem Beitrag “Marketing the defamed” die Frage der Provenienz im dritten Reich und die Frage der entarteten Kunst. Er konzentriert sich auf die Sammlungen der Museen, die man als Erstes konfiszierte. Im Juli 1937 fanden erste Ausstellungen der als entartet angesehen Werke statt. Bei jedem Werk stand: Der Einkaufspreis der Arbeit, das Ankaufsdatum, und der Name des verantowrtlichen Kurators. (zB “Kokoschka, Auswanderer Halle Moritzburg 1926 RM 13500.- (s.141)). Die Intention war natürlich nicht die lückenlose Aufbereitung einer guten Provenienz sondern polemisch gemeint. Man wollte den Besuchern deutlich machen, dass minderwertige Werke zu überhöhten Preise, die noch teilweise aus der Zeit der Inflation stammten, auf Kosten der Steuerzahler von der öffentlichen Hand angekauft wurden. Das Stigma, dass die Verantwortlichen den Bildern verpassten, hinderte sie nicht daran, diese in der Folge über den Handel zu den bestmöglichsten Preisen wieder zu veräussern.

Für wen ist dieses Buch?

Das Buch zeigt, dass Vieles, was heute als “neue Entwicklung” rege diskutiert wird, bereits vor einigen Jahrhunderten seinen Ursprung hatte. Das Wissen um Entwicklungen, Ansichten und Handhabung von Kunstwerken kann bei der Beurteilung eines Objektes hilfreich sein. Bahnbrechend neu ist jedoch der Inhalt des Buches nicht. Für Diejenigen, die mit Kunst arbeiten, wird einiges bekannt sein. Aber durch die Vielseitigkeit der Themen, deren teilweise sehr detaillierten Bearbeitung, den unterschiedlichen Herangehensweisen der Referenten, bekommt der Leser neue Facetten zum Thema.

Keine Kunst ohne Provenienz?

Das die Provenienz und die Beschäftigung mit dieser in vielen Fällen notwendig ist, ist unbestritten.  Ein bekanntes Kunstwerk kann schnell fragwürdig werden, wenn es ohne Provenienz auftaucht und sollte dann zuerst genau überprüft werden. Aber nicht bei jedem Kunstwerk ist eine Provenienzangabe nötig. Ein Kunstwerk kann notfalls ohne Provenienz aber diese nicht ohne Kunstwerk. Daher lohnt sich immer zuerst ein Blick auf das Original. Und: Selbst eine gute Provenienz, sagt nicht unbedingt etwas über die Qualität einer Arbeit aus. Im Zweifelsfall wird das Kunstwerk nicht besser, nur teurer.

 

Provenance, an Alternate History of Art.

Hrsg. von Gail Feigenbaum und Inge Reist

Getty Trust, Los Angeles, 2012.

Erhältlich hier: The Getty Store.

 

1) Frits Lugt, les marques de collections de dessins et d’estampes, 1921. Das Verzeichnis gibt es mittlerweile online.

2) Dominique Poulot: “Provenance and value, The reception of ancien Régime Works of Art under the French Revolution”  S.63.

3) Sophie Raux, S.94ff

 

 

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