Versteckte Werte oder warum Künstler ihre Bilder übermalen

Drei Geschichten von Künstlern und ihren Werken.

“Recycling extreme”

Giovanni Giacometti

Als der junge Giovanni Giacometti (1868-1933) zwischen 1888 und 1891 mit seinem Freund Cuno Amiet (1868-1933) in Paris verbrachte, verfügte er über so wenig  Geld, dass er dieselbe Leinwand vielfach übermalte.  Er meinte in einem Brief an seine Mutter, dass er eine neue Leinwand nehmen würde, sobald er auf dieser  ein Meisterwerk geschaffen hatte.  Der Erfolg liess jedoch auf sich warten, denn er musste 1891 aus Geldmangel zurück in die Schweiz. Wir werden dieses ausgiebig beschichtete Werk wohl nie zu Gesicht bekommen. Wer weiss, welche Kunstwerke sich unter diesen  Lagen an Ölfarbe befanden? Meines Wissens nach war das wohl die extremste Form von Wiederverwertung. Heute gehört Giacometti zu den begehrtesten Künstlern der Schweizer klasssichen Moderne.

Wiederentdeckung

Vincent van Gogh

Ein unscheinbares Blumenstilleben fristete  sein Dasein  im  Kröller-Müller-Museum in der Nähe des niederländischen Otterloo. Es wurde unter der Bezeichnung „Anonym“ im Depot des Museums aufbewahrt.  An die Signatur „ Vincent“  für Vincent van Gogh glaubte niemand so recht.  Dank einer Röntgenuntersuchung wusste man bereits, dass sich unter diesem Stilleben ein zweites Gemälde mit zwei Ringern befand. Ob dieses von van Gogh stammte, war  ungewiss, denn Ringer waren ein beliebtes Thema für Schüler der Kunstakademien. Ein Team von Wissenschaftlern untersuchte das Gemälde mittels Röntgen-Fluoreszensanalyse, eine Technik, die die Pinselführung  und die Farben des Gemäldes genauer und auf einer grösseren Fläche als andere technischen Hilfsmittel analysieren konnte. Sie kamen zu dem Schluss: Das Bild war von der Hand des Meisters.

Gute Dokumentation

Ausserdem war das 1. Bild gut dokumentiert. Der holländische Blog Kunstpedia.com behandelt diese Geschichte zum Bild sehr ausführlich: Die Ringer entstanden im Januar 1886 im Rahmen eines Kurses an der Kunstakademie in Antwerpen. Van Gogh bat seinen Bruder Theo um Geld, um die passenden Malutensilien zu besorgen. Eine Woche später schrieb er ihm: “Diese Woche malte ich ein grosses Ding mit zwei nackten Torsos”1). Das ungewöhnlich grosse Format war Standard für Figurenmalerei in Antwerpen. Van Gogh nahm das Bild im folgenden Februar mit nach Paris zu seinem Bruder, wo er direkt, ohne Grundierung das Blumenstilleben auf die Ringer malte. Lange zweifelte man an der Echtheit des Blumenstillebens, da das benutze Format, 80×100 cm für Blumenstilleben van Goghs dieser  Zeit untypisch waren. Experten schätzten, dass der Künstler gut 30% seiner Werke aus Sparsamkeit recycelte.

Kröller Müller MuseumVan Gogh: Ringer Kröller Müller Museum

V.Van Gogh: Blumenstilleben und Ringer Kröller Müller Museum

 

 

Eine Frage der Wertschätzung

Max Pechstein

Mit Gesamtkosten von 20 000 Euro legten Restauratoren in minutiöser Kleinarbeit die Rückseite eines Gemäldes von 1917 des deutschen Expressionisten Max Pechstein frei. Der Grund: sie vermuteten,  dass sich hinter der Übermalung ein früheres Werk des Künstlers befinden würde. In der Tat kam ein Damenportrait von 1910 Pechsteins zum Vorschein. Doch weshalb hatte er es übermalt?  Aya Soyka berichtet in ihren Artikel  „Lupenbrille und Skalpell“ in der ” Zeit” vom 31.1.2012, dass die kräftigen, grellen Farben so gar nicht nach dem Geschmack des wilhelminischen Publikums waren. Ausserdem wirkte die zarte Figur mit ihrem grossen schwarzen Hut und dem üppigen Schmuck aus Seidenblumen völlig unproportioniert.  Auch Pechstein selbst fand die Arbeiten dieser  Zeit um 1910 „leider ganz energielos“ 2).  Seine späteren Arbeiten verkauften sich besser, zumindest ein bisschen.

Ästhetik und Wertschätzung im wörtlichen Sinne ist oft eine Frage der Zeit: Auch andere Expressionisten wie Erich Heckel übermalten ihre Bilder aus dem gleichen Grund.  Was in der Zeit Pechsteins von ihm selbst und  dem Publikum verworfen wurde ist heute sehr begehrt. Ein vergleichbares Bild aus dieser frühen Zeit um 1910 wurde  vor einigen Jahren für 3,5 Millionen Euro versteigert.

Quellen:

Dieter Schwarz, Paul Müller, Viola Radlach: Giovanni Giacometti 1868–1933. 3 Bände. Zürich 1996/1997 (Œuvrekataloge Schweizer Künstler, Band 16/I/II-1/2)

Hanna Wick, Kunst im neuen Licht, NZZ 13. 11 2012.

www.Kunstpedia.com: Rediscovered Flower Stillife by Vincent van Gogh

1) Zitat im Artikel v. Kunstpedia

Desy.de

Aya Soyka, Mit Microskalpell und Lupenbrille, Die Zeit, 31.1.2012.

Aya Soyka behandelt die Geschichte um das Gemälde von Max Pechstein und noch weitere Fälle.

2) Zitat bei Aya Soyka mit Microsalpell…

Ayka Soyka veröffentlichte 2011 das Werksverzeichnis der Ölgemälde von Max Pechstein.

 

 

 

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